Sicherlich kennen Sie die Auswirkungen des Spiritual Kitchen Trends aus dem eigenen Umfeld in Gestalt verschiedenster Ernährungsformen. Man ernährt sich z.B. heute gern vegan oder vegetarisch und

sogar Paleo, also die Steinzeiternährung, hat damit Einzug in die Gastronomie erhalten.  Zudem gibt es ein Phänomen, das im Marketing seinesgleichen sucht: Man bewirbt heutzutage Lebensmittel mit dem Verkaufsargument, welche Inhaltsstoffe alle nicht enthalten sind! “Frei von…” ist ein Verkaufsargument geworden und deutlich größer auf die Verpackung gedruckt als die Auflistung der Inhaltsstoffe. Die ziehende Werbeaussage ist also die Auflistung genau dessen, was man für sein Geld alles nicht bekommt. Das Gesundheit ein Trend ist wiederum führt dazu, dass sich viele Menschen Laktose- oder Glutenfrei ernähren, obwohl sie keine entsprechende Unverträglichkeit besitzen. Es kann also auch nicht schaden, auch wenn es mehr kostet.

Des Weiteren ist zu beobachten, dass sich viele Menschen über die Art der Ernährung identifizieren oder gar politische Positionierungen ausdrücken, begleitet von entsprechenden Diskussionen in den sozialen Medien. Viele Veganer haben keine Abneigung gegen Fleisch an sich, sondern vielmehr gegen die Massentierhaltung dahinter.

Die Forschung hat den Trend untersucht

Wie kommt so etwas zustande? Der Ernährungspsychologe Dr. Thomas Ellrott von der Universität Göttingen hat dieses Phänomen untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass die klassischen Werte- und Ordnungssysteme wie z.B. Familie und Religion vermehrt an Bedeutung einbüßen. Das dadurch erlebte Defizit an sozialer Verortung sucht nach neuen Leitplanken fürs Leben. Sind diese über die Ernährung gefunden, findet man sofort Halt und Sicherheit durch die Zugehörigkeit in entsprechenden Peer-Groups. Kaum ist man in einem Internet-Forum zu seinem Thema angemeldet, bekommt man eine hohen Grad an Aufmerksamkeit und Anerkennung von den etablierten Mitgliedern, man ist also sofort hochwillkommen.

Vieles, was die soziale Einbettung von Menschen ausmacht, also Herkunft, Beruf, Familie oder Wohnort, ist schwer zu beeinflussen. Leicht änderbar ist allerdings die Tatsache was man isst, was man postet und wofür man sich engagiert. Damit bekommt man dann die Möglichkeit, sich von anderen abzuheben oder sich ihnen zuzuwenden. Daraus entstehen soziale Tattoos, die andere klassische Statussymbole ersetzen. Waren früher Automarken, Designerkleidung oder Marken-Sportschuhe wichtig, werden die über die Ernährung generierten Tattoos zu demokratisierten Statussymbolen, die zudem mit kleinerem Budget möglich sind.

Aber zurück zum Trend Spiritual Kitchen, der sich auf Grund seiner durchweg positiven Charakterigenschaften wunderbar dafür eignet. Selbstdisziplin, Engagement, Altruismus  sowie Tier- und Klimaschutz kommen wunderbar in unserer Gesellschaft an. Generell könnte man der Meinung sein, dass auf Grund der explodierenden Ernährungsstile kein Mensch mehr normal isst, aber das scheint Gott sei Dank nur so. Wichtig ist aber der soziale Kitt, den Essen ausmacht: Man sehnt sich nach Gemeinschaft beim Essen, ein Grund übrigens, warum bei Facebook so viele Menübilder gepostet werden. Gemeinsames Essen ist und bleibt ein sinnstiftendes Ereignis, das der Gesellschaft Freude bereitet.

Verhaltenspush durch externe Trigger

Zugleich wird der Zugang zu anderen Ernährungsformen immer einfacher. Neue Unternehmen sprießen wie Pilze aus dem Boden und reißen die Zutrittshürden zu individueller Küche ein. Die RocketInternet Tochter “Hello Fresh” pusht mit viel Marketing Power das frische Kochen zu Hause übers Internet, das Kochhaus bietet passend frisch portionierte Lebensmittel als begehbares Kochbuch im stationären Handel an. Kein Vollsortimenter erlaubt sich mehr, zumindest Bio und Vegan im Regal vorzuhalten, umrahmt von Superfood wie Quinoa, Goji-Beeren, Chia-Samen oder Spirulina Algen. Zahlreiche Nischenshops wie z.B. das Paleo-Lädchen bieten im Internet nicht nur spezielle Sortimente an, sondern versorgen den Besucher zudem mit Informationen, Kochzubehör, passender Kosmetik und einer Community. Elemente, die man im klassischen Handel nur sehr schwer findet, die aber Kunden binden. In einem vergangenen Artikel haben wir bereits über den Trend zum verpackungsfreien Einkaufen berichtet. Diese Formate bekommen immer mehr Aufmerksamkeit, das war in den 70ern beim ersten Bio Laden genau so. Auch diese Entwicklung wird in den Augen ressourcenbewusster Kunden den Stellenwert erhöhen.

Was bedeutet das für die Branchen?

Spiritual Kitchen und die Haushalts-Küchengeräteindustrie

Erinnern Sie sich noch an Jean Pütz, der uns in den 70ern erklärt hat, wie gesund Müsli ist und dass man Joghurt bequem zu Hause herstellen kann? Der zur gleichen Zeit aufkommende Trend zu mehr Umweltbewusstsein war nicht nur die Geburtsstunde der Grünen, sonder sorgte für unzählige Getreidemühlen und Joghurtbereitern in den Küchen. Auch heute unterstreichen technische Geräte den Ernährungstrend von Menschen: Der Thermomix steht für gesunde und schnelle Küche, der Weber Grill setzt den High End Fleischgenießer vom biertrinkenden Camping-Griller ab. Ein großes Potenzial für die Branche tut sich auf, genau die Geräte zu liefern, die von den Menschen nachgefragt werden und zudem ein Symbol für den Status werden.

Spiritual Kitchen und der Handel

Um diesen Trend zu bedienen muss die Handelsbranche komplett umdenken: Man verkauft keine Waren mehr, sondern eine Lebenseinstellung! Paleo Waren kommen ohne Kühlung und oft auch ohne Verpackung aus, darauf muss man von der Logistik her eingestellt sein. Ebenso wenig kann man die Waren in Regale verpacken, in denen sonst die klassischen Waren präsentiert werden. Das ist unglaubwürdig und damit eine große Kaufhürde. Ebenso ist das neue Sortiment eine große Herausforderung für das gesamte Instore Marketing. Klassische Muster funktionieren bei den Zielgruppen nicht und schrecken eher ab als das sie nützen. Kundenansprache muss vom Personal her auch anders funktionieren, denn diese Kunden haben ein enormes Wissen mit entsprechendem Wachstumsbedarf.

Auch interessant: Lässt sich eine neue Ernährungsform zum individualisierten Produkt entwickeln? Ganz sicher, denn Individualisierung ist gerade diesen Menschen sehr wichtig. Das bedeutet, dass man direkt vor Ort Foodkompositionen zusammenstellen muss mit entsprechender Instore Logistik und Infrastruktur.

Eines wird der Handel aber werden: Ein Social Hub für die Communities! Menschen, die sich sonst nur in den Foren kennen lernen, haben so eine Anlaufstelle für die physische Begegnung. Da liegt es nahe, Handel, eine entsprechende Gastronomie und eine Lernakademie zusammen zu bringen. Retail als Begegnungs-, Bildungs- und Einkaufsort der Zukunft, genau das ist der Weg!

Spiritual Kitchen und der Ladenbau

Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie man ein In-Vitro Filet den Kunden präsentiert? Selbst die schönste Fleischtheke weckt zu starke Assoziationen zu den tierischen Pendantprodukten. Nichts, aber auch nichts darf so präsentiert werden wie die klassischen Sortimente. Zudem  muss man sehr in Cross-Selling Potenzialen denken: Lebensmittel + Zubereitungshardware + Fortbildung = Einkaufserlebnis.

Spiritual Kitchen in der Verpackungsindustrie

Gerade der Bereich der alternativen Ernährungsformen bedingt ein Überdenken von Verpackungslösungen. Ist sie wirklich noch notwendig? Kann die Verpackung eine Zubereitungslösung sein? Wie kommuniziere ich auf neuem Wege mit dem Kunden, wie kann Verpackung ein Mehrwert darstellen? Hier ergeben sich aber auch neue Chancen, denn Verpackung ist in vielen Köpfen einfach nur als Müllproblem verankert. Endlich kann die Branche Konzepte, die genau das Gegenteil darstellen und bisher an der zögerlichen FMCG Industrie gescheitert sind, flächendeckend umsetzen.

Im Grunde genommen kann man für dieses Thema wenn überhaupt nur ein kleines Resümee ziehen. Es ist unglaublich, was sich derzeit im Bereich der Food-Startups in deren Metropole New York so entwickelt. Zudem bringt steigernder Fleischkonsum in bisher vegetarischen Ländern wie z.B. Indien die klassische Fleischproduktion an ökologische Grenzen, so dass ein Umdenken unausweichlich sein wird.

Sicherlich gibt es noch viele Bereiche, die ich bei dieser Trendbetrachtung nicht auf dem Radarschirm habe. Daher freue ich mich, wenn in den Kommentarspalten weitere Einflussparameter verfasst werden. Jeder Leser wird sich über weitere Inspirationen freuen. Es bleibt also spannend!

Foto: Stocksnap.io

Dieser Beitrag erschien zuerst auf zukunftdeseinkaufens.de